Schauspielerin Claudia Michelsen (56) in ungewohnter Rolle: Im ersten „Polizeiruf 110“ der neuen Saison muss Kriminalhauptkommissarin Doreen Brasch keinen Mord aufklären, sondern findet sich in der Episode „Sie sind unter uns“ (Das Erste, 21. September, 20:15 Uhr) in einer unübersichtlichen Amoklage an einer Schule wieder. Es gab schon Tote. Schafft sie es, weitere Opfer zu verhindern?
Darum geht es im „Polizeiruf 110: Sie sind unter uns“
Großeinsatz der Polizei an einer Magdeburger Schule. Der 17-jährige Jeremy (Mikke Rasch) läuft Amok. Zwei Menschen hat er bereits erschossen. Jetzt verschanzt er sich in einem voll besetzten Klassenraum und nimmt die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Lehrerin (Tanya Erartsin, 43) als Geiseln. Unter Hochdruck beginnt Brasch, mehr über Jeremy herauszufinden. Ihre Ermittlungen führen sie zu Jeremys Zuhause, wo sie seine alleinerziehende Mutter Rebecca (Maja Beckmann, 48) trifft.
Rebecca ist aufgrund ihrer MS-Erkrankung größtenteils ans Bett gefesselt. Sie ist auf Jeremys Pflege und seine Unterstützung angewiesen. Von seiner Radikalisierung und den akribischen Vorbereitungen zum Amoklauf will sie nichts mitbekommen haben. Wie konnte es passieren, dass Jeremys Veränderung unbemerkt blieb? Warum wurde Jeremy zum Amokläufer? Handelte er allein oder hat er Komplizen? Brasch steht vor der schwierigen Aufgabe, Jeremys Motivationen zu entschlüsseln, ihn zur Aufgabe zu bewegen und weitere Todesopfer zu verhindern.
Lohnt sich das Einschalten beim „Polizeiruf 110: Sie sind unter uns“
Es kommt darauf an – und wie so vieles ist auch dieser Krimi sehr viel Geschmackssache. Natürlich ist das Thema „Amoklauf an Schulen“ ein extrem wichtiges, das bereits mehrfach zum Gegenstand von Filmen wurde. Auch die Idee, einen paranoiden Schüler zu zeigen, der an völlig irre Verschwörungstheorien glaubt, bis er unter Verfolgungswahn leidend zur Waffe greift und Menschen tötet, klingt im ersten Moment spannend, aber ist ebenso alles andere als neu. Das Manko des Films, abseits der nicht gerade innovativen Storywahl: Bei der Umsetzung hapert es dann doch gewaltig.
Die Fokussierung auf die Dialoge zwischen Täter und Polizei im Mittelteil des Films verfolgt den richtigen Ansatz, verzettelt sich aber schnell in platitüdenhaften Sprüchen. Dieser spannende Teil wird dann aber unnötig und abrupt abgebrochen, ohne dass zuvor die Handlung irgendwie vorangebracht wurde. Eine vertane Chance. Auch weitere Gespräche zwischen Brasch und ihren Kollegen wirken im Übrigen teils deplatziert und unrealistisch.
Kurz vor dem Schluss hat der Film dann seine besten Momente – wo die Haupthandlung nach knapp 90 Minuten, der eigentliche Amoklauf schon längst Geschichte ist, entfaltet die Story dann doch eine Wendung, die viel versprochen hätte. Vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen, auf diese Facette einen viel größeren Fokus zu legen und viel früher auf die Hintergründe der Bluttat einzugehen. Aber auch diese Chance wurde vertan. Stark ist in jedem Fall die Figur der Mutter des Täters inszeniert, deren Verzweiflung in ihrer krankheitsbedingten Notlage mit Händen zu greifen ist. Eine herausragende schauspielerische Leistung von Maja Beckmann.
Ansonsten handelt es sich hier um einen eher durchschnittlichen Sonntagabend-Krimi. Natürlich ist er aufgrund der nahezu in Echtzeit laufenden Handlung irgendwie spannend inszeniert. Die verpassten Chancen und die teils unrealistischen Dialoge und Drehbuchwendungen sind aber so offensichtlich, dass sie bei den vielen Zuschauern zum Stirnrunzeln und Kopfschütteln führen werden.
(dr/spot)
Bild: „Polizeiruf 110: Sie sind unter uns“: Brasch (Claudia Michelsen) betritt mit vorgehaltener Waffe ein Klassenzimmer. / Quelle: MDR/filmpool fiction/Stefan Erhard