„Tatort: Lass sie gehen“: Horrortrip in die schwäbische Provinz

„Tatort: Lass sie gehen“: Horrortrip in die schwäbische Provinz

Im „Tatort: Lass sie gehen“ (17.11., 20:15 Uhr, Das Erste) geht das Stuttgarter Ermittlerteam Thorsten Lannert (Richy Müller, 69) und Sebastian Bootz (Felix Klare, 46) dem Mord an einer jungen Frau nach, die sich aus der schwäbischen Provinz in die große Stadt geflüchtet hatte. Bei einem Besuch in ihrem Heimatdorf verstehen die Kommissare zunehmend, warum sie das Weite suchte.

Darum geht’s im „Tatort: Lass sie gehen“

Nur wenige Wochen, nachdem Hanna Riedle (Mia Rainprechter, 26) aus ihrem schwäbischen Heimatdorf wegzog, um ein neues Leben in Stuttgart zu beginnen, wird sie Opfer eines Gewaltverbrechens. Um den Mord aufzuklären, begeben sich die Kommissare Lannert und Bootz in den Heimatort der erwürgten Exilantin, um sich dort ein Bild zu machen.

In Waldingen geht es denkbar trostlos zu. Zentraler Anlaufpunkt der wenigen Bewohner ist der Gasthof „Hirsch“, den die Eltern der Verstorbenen mit der verbliebenen Tochter Emma (Irene Böhm, 20) betreiben. Zur Hauptkundschaft zählt eine Horde ungewaschener junger Männer, die allesamt bei „Löffler Beton Technologie“, der einzigen Firma im Ort, arbeiten und sich in ihrer Freizeit vornehmlich der Jagd, dem Tontaubenschießen und dem Verzehr alkoholischer Getränke widmen.

Einer von ihnen, so stellt sich bald heraus, ist Martin Gmähle (Sebastian Fritz, 37), der ehemalige Verlobte der Ermordeten. Kurz vor ihrem Umzug nach Stuttgart vor drei Monaten hatte Hannah Riedle ihn aus heiterem Himmel verlassen. Dabei hatte er doch gerade erst für ihre gemeinsame Zukunft aufwändig ein Haus renoviert und mit XXL-Sofa, einem riesigen Flatscreen-Fernseher und silbernen Hirschgeweihen ausgestattet.

Trotzdem habe ihr irgendetwas gefehlt, berichtet der Ex den Ermittlern unter Tränen neben der Hantelbank im Wohnzimmer – dabei habe er doch alles für sie getan. Dass er in den vergangenen Monaten auch einige seltsame Dinge tat, um Hannah zur Rückkehr zu bewegen, lässt er in der Befragung vorerst unerwähnt.

Um den Täter zu finden, entschließt sich Kommissar Lannert, für ein paar Tage im Ort zu bleiben und bezieht im Gästezimmer des Wirtshauses Quartier. Sein Kollege Bootz eilt derweil im schokoladenbraunen Porsche zurück in die Stadt, um dort das Umfeld der Ermordeten zu durchleuchten. Ohne Zahnbürste und frische Socken in der Provinzhölle gestrandet, bleibt Tannert nichts anderes übrig, als seine Nachforschungen im Dorf mit einem ausgeliehenen Damenfahrrad fortzuführen.

Kurz darauf rückt der Beton-Techniker Marek Gorsky (Timocin Ziegler, 38), ein ehemaliger Mitschüler und Verehrer des Mordopfers, als Verdächtiger in den Fokus der Ermittlungen. Einer Befragung durch Lannert versucht er zunächst durch Flucht zu entgehen, wobei er dem Kommissar mit dem Auto über den Fuß fährt. Auch wenn er nach kurzer Verhaftung wieder in die Freiheit entlassen wird, steht für die Dorfgemeinschaft nun fest, dass er der Mörder sein muss. Ein wütender Lynchmob rottet sich zusammen, den Lannert – nun an Krücken – in Schach halten muss. Doch während die Vorgänge in Waldingen weiter eskalieren, nimmt der Fall noch einmal eine völlig neue Wendung.

Lohnt sich das Einschalten?

Auf Schwäbisch würde man sagen: Leidr nedd wirklich. Bei ihrem ambitionierten Versuch, mit atmosphärischer Tiefe in den Kosmos des finsteren Horrordorfes Waldingen einzutauchen und dabei den Bewohnern tief in ihre Seelen zu blicken, haben sich Regisseur Andreas Kleinert (62) und Drehbuchautor Norbert Baumgarten (51) offensichtlich ein wenig überhoben.

Das Scheitern dieses Versuchs ist dabei am wenigsten den mitwirkenden Schauspielern und Schauspielerinnen zuzuschreiben. Neben dem zuverlässig unterhaltsamen Ermittler-Duo Richy Müller und Felix Klare kommen in „Tatort: Lass sie gehen“ viele solide Darsteller zum Einsatz, wie etwa Moritz Führmann (46) in der Rolle des Vaters der Getöteten Hannah oder die aus „Babylon Berlin“ bekannte Irene Böhm (geb. 2004) in der Rolle der Schwester.

Das Problem besteht vielmehr in einem Drehbuch, das als tiefgehende Milieustudie intendiert ist, dann allerdings die Charaktere erstaunlich stereotyp zeichnet und ihnen zuweilen fürchterlich hölzerne Dialoge in den Mund legt. Zudem schwankt es unentschlossen zwischen dem Anspruch, den Trip in die Provinzhölle mit strikt ironiefreiem Realismus zu erzählen, und dem Bestreben, dem Zuschauer durch komödiantische Einsprengsel (für die ausschließlich Lannert und Bootz zuständig sind) die schwere Krimi-Kost leichter verdaulich zu machen. Einerseits führt es dazu, dass die beiden Kommissare im großen Finale mit lustig eingegipsten Armen und Beinen den Mörder zur Strecke bringen müssen. Andererseits sorgt es dafür, dass viele der oft kammerspielartig inszenierten Szenen gerade aufgrund ihrer konzeptionellen Ironielosigkeit unfreiwillig komisch wirken.

Ganz besonders wird dem Zuschauer in dieser Hinsicht wohl die Szene im Gedächtnis bleiben, in der die Wirtsfrau Luise Riedle (Julika Jenkins, 53) mit größtem Pathos versucht, sich das Leben zu nehmen, in dem sie sich mehrere Teller schwäbische Knödel mit brauner Soße in den Mund stopft. Leider werden dem Zuschauer in diesem „Tatort“ zu viele solcher halbgarer Regie-Ideen aufgetischt.

(tj/spot)

Bild: Kommissar Lannert (Richy Müller) kümmert sich um die verzweifelte Gastwirtin Luise Riedle (Julika Jenkins) nach einem Selbstmordversuch mit Knödeln. / Quelle: SWR/Benoît Linder

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