Er drohte, Wüterich Klaus Kinski (1926-1991) „acht Kugeln durch den Kopf“ zu jagen, wurde selbst während eines Interviews (durch eine „unbedeutende“ Kugel) angeschossen und stand zuweilen der Manie seiner Filmfiguren in nichts nach. Werner Herzog (80) ist nicht nur ein Ausnahmeregisseur, er ist deutsches Kulturgut.
Jeder seiner Sätze, so scheint es, wird mit bedachter, zitierwürdiger Gravitas gesprochen. Selbst, wenn er gerade darüber philosophiert, seinen eigenen Schuh zu verputzen oder verspricht, in einen Kaktus zu springen – und beides tut. Am 5. September 2022 wird Kinski-Bändiger, „Star Wars“-Schurke und Filmphilosoph Werner Herzog 80 Jahre alt.
Alles außer gewöhnlich
Neben einer ganzen Reihe klangvoller Namen, darunter Rainer Werner Fassbinder (1945-1982), Wim Wenders (77) oder Volker Schlöndorff (83), zählt Herzog zu den bedeutsamsten Vertretern des Neuen Deutschen Films. Das Credo: Weg von den verhassten Heimatschmonzetten, der Karl-May-Romantik, den Heile-Welt-Schlagerfilmchen.
Der Gesellschaft galt es fortan vielmehr, die eigene Fratze vorzuhalten. „Zivilisation ist wie eine dünne Schicht Eis über einem tiefen Ozean aus Chaos und Dunkelheit“, sinnierte einst Herzog. Einen Zwillingsbruder im Geiste fand er diesbezüglich in den USA: Bei David Lynchs (76) „Blue Velvet“ ist es eine dünne Schicht Gras, die die US-Idylle von Gewürm und Verfall trennt.
Herzog, der Showman
Für einen ersten großen Aufreger sorgte Herzog mit seinem zweiten Spielfilm „Auch Zwerge haben klein angefangen“ von 1970. Die surreale Gesellschaftskritik dreht sich einmal mehr um den verzweifelten Ausbruchsversuch aus der Konvention und entstand unter derartig chaotischen Bedingungen, dass angeblich ein Darsteller von einem Auto überrollt wurde und später auch noch Feuer fing.
Herzog verleitete dies zu einer Wette: Sollten alle Darsteller den Dreh überleben, so würde er für sie in einen Kaktus springen. Sie überlebten. Er sprang: „Es war ein fieser Kaktus, er hatte sehr lange Stacheln.“ Zugleich hielt er fest: „Es birgt nichts Selbstzerstörerisches, in einen Kaktus zu hüpfen.“
Zehn Jahre später folgte Herzogs wohl berühmtester Stunt, der aus heutiger Trash-TV-Sicht samt Ekel-Dschungelprüfungen passender denn je scheint: „Schaltet man den Fernseher ein, dann ist es nur noch lächerlich und zerstörerisch“ – das sagte Herzog 1980. Also erklärte er „den Dingen, die wir tagtäglich im Fernsehen zu Gesicht bekommen, den heiligen Krieg“.
Er tat dies, indem er die Sensationsgier ad absurdum führte und unter dem Titel „Werner Herzog Eats His Shoe“ vor versammeltem Publikum genau das tat – seinen Schuh mampfen: „Wir haben ihn fünf Stunden lang gekocht, aber er ist dadurch noch zäher geworden.“ Wer eine ähnliche Erfahrung erleben wolle, scherzte Herzog noch trockener als seine Mahlzeit, müsse nur zur nächsten „Kentucky Fried Chicken“-Bude gehen.
Hassliebe oder liebevoller Hass?
„Ich sagte ihm, ich habe ein Gewehr. Er würde höchstens die nächste Flussbiegung erreichen und dann würde er acht Kugeln durch den Kopf haben – und die neunte wäre für mich. Er hatte Instinkt genug zu wissen: Das war jetzt kein Spaß mehr.“ Schon Herzogs erste Zusammenarbeit mit Klaus Kinski, der im Jahr 1972 erschienene „Aguirre, der Zorn Gottes“, gipfelte in Fluchtversuchen des Hauptdarstellers und Morddrohungen, nicht nur durch den Filmemacher.
Immer wieder hätten ihm die indigenen Statisten angeboten, Kinski um die Ecke zu bringen. So auch bei seinem wohl berühmtesten Film, „Fitzcarraldo“ (1982). Das ginge natürlich nicht, er müsse schließlich den Film zu Ende drehen, habe Herzog daraufhin geantwortet. Mehr als ein Kopfnicken seinerseits hätte der Auftrag zum Mord jedoch angeblich nicht in Anspruch genommen.
Insgesamt fünf gemeinsame Streifen mit „Bestie“ Kinski, die es ein ums andere Mal zu „domestizieren“ galt, stellten Herzogs Leidensfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis. Ebenso wie seine eigene Manie: Um den Wahnsinn eines Mannes zu zeigen, der ein riesiges Dampfschiff über einen Berg bugsieren lässt – ließ Herzog ein riesiges Dampfschiff über einen Berg bugsieren.
Dass er für seine Kunst zum Äußersten bereit sei, beschrieb Herzog gewohnt theatralisch in seinem ersten Talk-Show-Auftritt vor genau 40 Jahren, zu Gast bei David Letterman (75): „Sollte es notwendig sein, so würde ich in die Hölle hinabklettern und einen Film aus den Klauen des Teufels ringen.“ Die 1999 erschienene, großartige Dokumentation „Mein liebster Feind“ legt nahe, dass Herzog wegen Kinski mehrfach die Steigeisen anlegen musste.
Herzog in der Popkultur
Der letzte Ort, an dem man Werner Herzog angesichts dieser Vorgeschichte vermuten würde, ist die Popkultur. Doch diese Limitierung würde dem Filmemacher nicht gerecht. Dem Instinkt für symbolträchtiges Geschichtenerzählen steht sein Sinn für Humor in nichts nach. Das bewies er mit Sprechrollen bei den „Simpsons“, „American Dad“ oder „Rick and Morty“, wo er als Außerirdischer einen Monolog über Peniswitze hielt.
Und auch dem (neben Marvel) größten Franchise stattete er schon einen Besuch ab: In der „Star Wars“-Serie „The Mandalorian“ setzte er als „Der Auftraggeber“ den Grundstein für die weitere Handlung der Serie rund um Baby Yoda.
Ein besonders surrealer Vorfall sorgte gar dafür, dass Herzog ein eigenes Lied gewidmet wurde: „Werner Herzog Gets Shot“ der Band Get Well Soon. Der britische BBC-Filmkritiker Mark Kermode (59) hatte Herzog anlässlich dessen Films „Grizzly Man“ (2005) auf offener Straße in den USA interviewt – als ein unbekannter Idiot mit einem Luftgewehr auf den Regisseur schoss und ihn schräg unterhalb des Bauchnabels traf.
Herzog wiegelte kurz danach mit einem Lachen ab, dass es keine „bedeutsame“ Wunde sei, als er seine Hose aufknöpfte und zum Beweis den Bluterguss in die Kamera zeigte. Die schockierendste Erkenntnis sei laut Kermode in diesem Moment nicht gewesen, dass Werner Herzog der coolste Mensch der Welt ist. Sondern, dass er dabei Boxershorts mit Paisleymuster trägt.