Guy Ritchies (53) Film mag „The Gentlemen“ heißen, mit guten Manieren kennen sich die schrägen Figuren seiner Gangsterkomödie aber so gar nicht aus. Stattdessen morden sie (zuweilen aus Versehen), zwingen zu Sodomie und hauen sich zwischendrin auch verbal die Köpfe ein. Typisch Ritchie also. Der besinnt sich mit „The Gentlemen“, der am 5. Dezember auf ProSieben 20:15 Uhr) seine Free-TV-Premiere feiert, auf all die Tugenden seiner besten Filme – und auf manch einen ebenfalls wohlbekannten Makel.
Der Wunsch nach dem Gangster-Ruhestand – darum geht es
Der US-amerikanische Selfmade-Drogenboss Mickey Pearson (Matthew McConaughey, 52) hat sich in London ein höchst lukratives Marihuana-Imperium aufgebaut. Doch er würde auch gerne etwas von seinem hart erarbeiteten Wohlstand haben, ehe einer der zahlreichen Konkurrenten noch auf die Idee kommt, die Wände mit seinem Gehirn zu streichen. Also werkelt Mickey gemeinsam mit seiner Frau Rosalind (Michelle Dockery, 39) eifrig daran, einen Käufer für sein florierenden Drogengeschäft zu finden und künftig ein legales Leben in der britischen Oberschicht zu führen.
An Interessenten für die Übernahme mangelt es nicht – lediglich an deren Bereitschaft, die von Mickey aufgerufenen 400 Millionen Dollar für seine geheimen High-Tech-Plantagen lockerzumachen. Zu allem Überfluss muss sich im Zuge dessen Mickeys engster Vertrauter Ray (Charlie Hunnam, 41) neben chinesischen Triaden, drogenabhängigen Millionärstöchtern und nervigen Instagram-Kids auch noch mit dem Schmierlappen Fletcher (Hugh Grant, 61) herumschlagen. Der arbeitet für die größte Klatschzeitung überhaupt, hat Wind von Mickeys Machenschaften bekommen – und möchte deshalb nun seinerseits ein saftiges Stück vom Kuchen abhaben.
Ritchie, bleib bei deinen Film-Leisten
Von der 1001 Nacht des Milliarden-Blockbusters „Aladdin“ hat es Filmemacher Ritchie zurück auf seine heimischen Gangsterstraßen verschlagen. Die dürfte der Ex-Mann von Popstar Madonna (63) inzwischen wieder mit einer Mischung aus Freude und Nostalgie beschreiten. Immerhin verhalfen sie ihm 1998 dank seines Debüts „Bube, Dame, König, grAS“ und endgültig im Jahr 2000 mit „Snatch – Schweine und Diamanten“ zu Anerkennung auch jenseits des großen Teiches. Einen so reinrassigen Ritchie, wie ihn der 53-Jährige 2020 mit „The Gentlemen“ abgeliefert hat, gab es letztmals 2008 (und deutlich schlechter) mit „Rock N Rolla“ zu sehen.
In den vergangenen zehn Jahren werkelte sich Ritchie stattdessen mal mehr („Sherlock Holmes“) und mal weniger erfolgreich („King Arthur: Legend of the Sword“) an übergroßen, popkulturellen Figuren ab. „The Gentlemen“ hingegen wirkt wie eine Rückbesinnung, gar wie ein Destillat aus seinen beiden bis dato besten Filmen, sprich seinem raffinierten Erstlingswerk und dem direkten Nachfolger „Snatch“. Das wird allein schon dadurch überdeutlich, dass in „The Gentlemen“ sowohl Gras als auch ein Schwein eine tragende, im Ferkel-Fall sogar unvergesslich fiese Rolle spielt. („Old McDonald Had A Farm“ wird man seinen Kindern danach jedenfalls nicht mehr vorsingen wollen…)
Zu cool und/oder zu kompliziert für diese Welt?
Nun gehen damit sämtliche Tugenden als auch einige gewohnte Makel eines Guy Ritchies einher. Der Hang zu unnötig verschwurbelten Erzählstrukturen mit einer Unmenge an Charakteren etwa. Sein Markenzeichen, beschwichtigen manche, „Style over Substance“, kritteln andere. Letzteres nicht ganz zu Unrecht, dennoch schafft es Ritchie, seinen Film zu einem kohärenten Ende zu führen. Und das, obwohl er zum Finale hin mehr narrative Haken als ein Karnickel auf Speed schlägt.
Kernstück von „The Gentlemen“ sind die messerscharfen Dialoge der teils karikaturesken Figuren. Diese Kombination zeichnet seit jeher Ritchies Werke aus und ist in seiner Gangsterkomödie in Reinkultur zu bewundern. Der Szenedieb des Films ist ausgerechnet „Mr. Romantic Comedy“, Hugh Grant. Als Klatsch-Schmeißfliege Fletcher macht er nicht nur Hunnams Figur herrlich unangenehm Avancen. Er benutzt dabei das Wort „Fuck“ wie ein Komma und darf auch noch jene Berufsschicht durch den Kakao ziehen, die er eigener Aussage nach am meisten verachtet. Nach seiner Darbietung in „The Gentlemen“ bedauert man direkt, dass Grant so oft den liebenswerten Schussel spielen musste.
Der zweite Darsteller, der trotz weniger Szenen in Erinnerung bleibt, ist Colin Farrell (45). Als pragmatischer Coach im karierten Proll-Trainingsanzug hat er die größten Lacher für sich gepachtet und unterstreicht wieder einmal, dass er ein Mann für alle Genres ist. Was zu dem größten Malus des Streifens führt: Mit Grant und Farrell in Bestform stinkt ausgerechnet Hauptdarsteller Matthew McConaughey gehörig ab. Der spielt sich als Drogenbaron Mickey zwar so emsig wie eh und je seinen texanischen Hintern wund, die Lorbeeren für den gelungenen Film von Guy Ritchie ernten aber zu Recht andere.
Fazit
Mit „The Gentlemen“ bekommen Fans von Guy Ritchie jene schräge, bitterböse und urkomische Unterhaltung geboten, mit der der britische Filmemacher seine Karriere einst ins Rollen brachte. Wie „Bube, Dame, König, grAS“ mag auch „The Gentlemen“ unnötig kompliziert sein, die Kurve bekommt Ritchie im letzten Moment aber doch wieder irgendwie. Allein, um Hugh Grant in ungewohnter, großartig gespielter Rolle als opportunistisches Ekelpaket zu erleben, lohnt sich das Einschalten.