23 Jahre, unzählige Fälle, Zigaretten, ruppige Ansagen und meistens dann doch ein Satz: „Gute Arbeit, Thiel!“ Im „Tatort: Die Erfindung des Rades“ (7.12., das Erste) spricht Mechthild Großmann (76) diese Worte ihrer Staatsanwältin Wilhelmine Klemm zum letzten Mal. Der neue Fall aus Münster bescherte der Kultfigur zum Abschied ein besonderes Geschenk: die Begegnung mit ihrer ersten großen Liebe.
Seit der ersten Folge „Der dunkle Fleck“, der Geburtsstunde des Münster-„Tatorts“ im Jahr 2002, war Großmann an der Seite von Hauptkommissar Thiel, gespielt von Axel Prahl (65), und Jan Josef Liefers (61) als Rechtsmediziner Prof. Boerne im Sonntagskrimi zu sehen. Sie hatte als Oberhaupt des Münsteraner Teams stets alle im Griff. Gerne unterstützte sie „Thielchen“ bei den Ermittlungen, lieferte sich mit Boerne einen Schlagabtausch oder nahm als Mentorin Nachwuchs-Kommissar Mirko Schrader (Björn Meyer) unter ihre Fittiche. Hinter der strengen Fassade und der außergewöhnlich tiefen Stimme der alleinstehenden Karrierefrau verbarg sich eine Rolle mit bewegter Vergangenheit.
So tickte Staatsanwältin Wilhelmine Klemm
Die Schauspielerin selbst erinnert im WDR-Interview an die vielen persönlichen Facetten ihrer Figur: „Als Schülerin knutschte sie immer wieder mit einer Klassenkameradin, nach einem Verhältnis mit einem blöden Kommilitonen hatte sie eine Abtreibung, sie lebte jahrelang in einem besetzten Haus und verteidigte es.“ Dort lernte Klemm dann auch den kleinen Frank Thiel kennen, mit dessen „Vaddern“ sie gerne mal ins Bett stieg. „Diese Mähne, diese Stimme, diese Lippen… Aus Wilma und mir hätte etwas werden können“, bedauert Schauspieler Claus D. Clausnitzer (86) zum Abschied.
In „Die Erfindung des Rades“ wurde es jetzt noch mal besonders nostalgisch. Eine eingefrorene Leiche in einem Fahrradladen bringt Klemm nämlich ausgerechnet mit ihrer Vergangenheit zusammen: Kurt Hobrecht (Hannes Hellmann), Besitzer der alteingesessenen Manufaktur und Bruder des Opfers. Und so kommt es, dass Klemm ihn nach seinem Schock-Herzinfarkt im Krankenhaus besucht.
Dabei stellt sich heraus: Hobrecht war „die erste große Liebe meines Lebens – und eigentlich auch die einzige“. Die beiden reisten nicht nur im VW-Bus durch die Welt, sondern waren sogar verlobt. Zur Hochzeit kam es aber nicht, „weil ich nicht wollte, so wie du wolltest“, wie die Staatsanwältin ihrem Ex-Partner erklärt. Jahrzehnte lang gingen sie sich daraufhin erfolgreich aus dem Weg. Doch die alten Gefühle sind trotzdem nicht verpufft – denn die sonst so barsche Klemm tanzt plötzlich mit Champagner durchs Wohnzimmer und verzichtet sogar aufs Rauchen. Umso schöner das Happy End: Im alten Bus geht es – inklusive Verlobungsring – wieder gemeinsam los. Statt für Indien entscheiden sich die beiden älteren Semester für den Schwarzwald.
Die Kollegen nehmen Abschied
Für ihre Kollegen wird es am Set ohne Großmann auf jeden Fall anders sein. Axel Prahl schwärmt von einer „hervorragenden Schauspielerin mit einem hohen Maß an Musikalität und einer atemberaubenden Stimme“. Bei der ersten Begegnung am Set habe es ihm den Atem verschlagen. „Am meisten fehlen wird mir der Mensch Mechthild Großmann. Denn ich habe sie schon sehr in mein Herz geschlossen“, betont er. Zwischen den beiden sei mittlerweile „eine herzliche Freundschaft“ entstanden. Bei der Premiere von „Die Erfindung des Rades“ vergangene Woche in Münster kniete er deshalb auch vor seiner langjährigen Kollegin nieder. „Sie war einer der Gründe, warum ich nach den vielen Jahren immer wieder gerne zum ‚Tatort‘-Dreh gefahren bin“, erklärt auch Jan Josef Liefers.
ChrisTine Urspruch (55), die als Rechtsmedizinerin Silke „Alberich“ Haller oft mit Klemm gegen die Herren Front machte, würdigt ihre Kollegin als „Grande Dame unserer Zeit“. Das sieht auch Björn Meyer so: „Mit ihrem Abschied verliert das Münster-Team eine echte Identifikationsfigur. Sie war Respektsperson, Gegenpol und starke Frauenfigur zugleich – das hat die Dynamik einzigartig gemacht“.
Wiedersehen nicht ausgeschlossen
Zum großen Glück für Klemm-Fans scheidet Wilhelmine Klemm nicht wie manch andere Kollegen mit einem Serientod aus der Reihe aus, sondern geht einfach in Rente. „Ich hör auf. Weil ich zu alt für den Scheiß bin“, erklärt sie dem verdatterten Thiel im Film, und das spiegelt auch die realen Gründe für die Entscheidung wider.
Das heißt aber auch: Die Tür für einen Gastauftritt ist weiterhin offen und das soll auch so bleiben. „Ich würde es keinen Abschied nennen. Es ist ihr Ausstieg, aber sie hat ja auch angeboten, dass sie sich unter gewissen Umständen auch vorstellen könnte, mal als Überraschungsgast wieder dabei zu sein“, stellt Axel Prahl in Aussicht. Im nächsten Münster-„Tatort: Maskerade“ übernimmt jetzt erst einmal Schauspielerin Lou Strenger (geb.1992) als Interims-Staatsanwältin Nikola König.
Großmann, die im Dezember 77 Jahre alt wird, gab ihren Ausstieg bereits im vergangenen Jahr bekannt. Das Aus im „Tatort“ bedeutet aber keinesfalls das Ende ihrer Karriere, denn sie wird für Theater und Lesungen weiterhin auf der Bühne stehen. „Und wenn der WDR mal für die Rolle einer bösartigen Mörderin jemanden sucht, wäre ich sofort wieder da“, hatte sie damals erklärt.
(eyn/spot)
Bild: Mechthild Großmann war als Wilhelmine Klemm von Anfang an die Staatsanwältin im „Tatort“ aus Münster. / Quelle: WDR/Frank Dick



