Anzüge sind längst nicht mehr nur Büro-Uniform. Alexander Davaroukas, Mitbegründer des Maßkonfektionärs „Monokel Berlin“, beobachtet eine Trendwende. Viele seiner Kunden tragen ihren Anzug in der Freizeit. Frei von strengen Office-Dresscodes ließen sich so persönliche Vorlieben besser zum Ausdruck bringen. Dafür benötigt man nicht nur Vertrauen in das eigene Stilgefühl, sondern auch in den Stoff, um „ihn auch in der Freizeit tragen zu können“, erklärt der Modeexperte im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
Haben Sie das Gefühl, dass sich mit Ende der Lockdown- und Homeoffice-Zeiten der Anzug wieder mehr in unserem Leben etabliert?
Alexander Davaroukas: Bei uns war der Anzug nie weg. In dem Kosmos, in dem wir uns bewegen, kamen die Leute eher auf uns zu und sagten: „Jetzt wo ich [beruflich] keinen Anzug mehr tragen muss, kann ich ihn endlich nach meinem eigenen Gusto tragen.“ Wir haben sogar angefangen, interessantere Stoffe zu verkaufen. Jetzt beobachtet man aber auch in der breiteren Öffentlichkeit, dass der Anzug als Alltagsuniform wieder mehr getragen wird, weil die Leute wieder ins Büro gehen. Die, die gerne und aus Freude Anzug tragen, die haben das jedoch auch in der Zwischenzeit getan.
„Monokel Berlin“ verfügt über verschiedene Standorte in Berlin, München und Riga. Haben Sie standortbezogene Unterschiede im Tragen von Anzügen festgestellt oder an Ansprüchen, die ein Träger an den Anzug hat?
Davaroukas: Klar gibt es standortbezogene Unterschiede. München ist seit jeher etwas legerer. Was erst mal witzig klingt, wenn man die beiden Städte München und Berlin vergleicht. In Berlin ziehen wir [„Monokel Berlin“] mehr Anzugträger an. In München sind die Dresscodes etwas lockerer.
Das überrascht. Inwiefern darf man das verstehen?
Davaroukas: In München reicht eine Jeans, ein Sakko und gut ist. In Berlin tragen die Leute entweder Anzug oder eben nicht. Wir sind erst seit März 2019 in München. Aber die Erfahrungen, die wir dort Prä-Covid gemacht haben, zeigten uns, dass der Anzug dort nicht gezwungenermaßen eine Uniform ist. Sondern etwas, was in Einzelteilen auch im Alltag getragen wird. Der Mann unterscheidet bei seiner Garderobe nicht zwischen: „Okay, damit gehe ich ins Büro und auf Veranstaltungen und damit gehe ich essen und treffe Freunde.“ Der Anzug und die Hose werden am Wochenende zum T-Shirt getragen. Dasselbe Sakko wird dann an einem Dienstag zum Geschäftstermin getragen und am Samstagabend auf einer Veranstaltung.
Bei Ihrem Brand differenzieren Sie zwischen „Smart Casual Tailoring“ und klassischen Business-Modellen. Welche Anzüge sind alltagstauglich und was unterscheidet diese von Büro-Suits?
Davaroukas: Die ersten Merkmale liegen in der Textur. Jeder Anzug verfügt über eine andere Grundrobustheit. Es gibt Stoffe, die sind fragiler oder anfälliger, auch in Bezug auf ihre Langlebigkeit. An sich ist es allerdings unser Ziel, die Stoffe so zu kuratieren, dass der Mensch so viel Freude an dem Anzug haben kann wie möglich und dass er das Vertrauen in den Stoff hat, ihn auch in der Freizeit tragen zu können.
Und wenn man direkt nach Feierabend in den Biergarten möchte? Gibt es Tricks, wie das Büro-Outfit freizeittauglich wird?
Davaroukas: Im besten Fall hat man sich direkt so geschickt gekleidet, dass man sich gar nicht erst umziehen muss. Dass es reicht, die Krawatte – die trägt sowieso keiner mehr – abzulegen. Auch hier sind wir wieder beim Stichwort „Textur“. Man benötigt nicht mehr diesen super glatten Stoff und das weiße, glatte Hemd dazu. Mit beiden Elementen kann man spielen und das Outfit dadurch spannender gestalten. Man wählt nicht mehr das sterilste Outfit, das ein Mann so tragen kann.
Stichwort Krawatte und Accessoires: Mit welchen lässt sich denn ein Herren-Anzug am besten stylen? Mit einem Armband vielleicht?
Davaroukas: Das Armband ist ein schwieriges Thema. Es gibt viele, die das als Element für sich entdeckt haben oder auch diese bunten Socken, die Männer jahrelang getragen haben. Das ist mittlerweile aber etwas drüber. Das Einstecktuch hingegen war immer eine Option, die auch weiterhin gerne getragen wird. In den letzten zwei Jahren hat Strick und sogenannte „Komfort-Mode“ an Relevanz auf dem Männer-Modemarkt zugenommen. Bei Damen war es schon immer ein wichtiges Thema, aber bei Männern wird das erst jetzt deutlich wichtiger. So banal das vielleicht klingt, aber ein Pulli als Accessoire – das ist etwas, was wir vermehrt beobachten. Wir haben sogar selbst angefangen, Strickwaren-Programme aufzubauen, weil die Nachfrage danach so zugenommen hat.
Trägt man denn dann überhaupt noch ein Hemd oder ein T-Shirt unter dem Sakko? Oder stellt dann der Pulli, wenn es kühler wird, den Ersatz für das Oberteil dar?
Davaroukas: Ersatz würde ich es nicht nennen. Es gibt zwar immer wieder Behauptungen, dass der Rollkragenpullover Hemden ersetzt. Das rührt aber noch daher, dass jeder, der im Homeoffice ein Meeting hatte, drei Minuten vor Beginn aufgestanden ist und einen Rollkragenpulli übergeworfen hat, um formell auszusehen. Das ist einfacher, als ein Hemd zu tragen und praktikabler, weil man ihn nicht bügeln muss. Hemden waren in der Zeit trotzdem ein sehr beliebtes Kleidungsstück, weil es einem im Gegensatz zu anderen Produkten noch mehr dieses angezogene Gefühl vermittelt. Wir haben sehr viel Leinen gefertigt, sehr viel Baumwolle-Leinen-Mischungen. Eine sehr klare Tendenz zum Legeren, weg vom typischen Schreibtisch-Hengst-Hemd. Weg ist das Hemd aber definitiv nicht und auch das T-Shirt wird es nie ersetzen.
Und wie sieht es mit den Schuhen aus? Sind Sneaker immer noch bürotauglich oder geht der Trend wieder mehr in Richtung Loafer?
Davaroukas: Für mich gibt es nur Loafer. Den Sneaker habe ich persönlich als Produkt noch nicht so ganz verstanden. Auch wenn er allgegenwärtig und überall akzeptiert ist – egal in welcher Ebene im Unternehmen, egal welche Rolle man bekleidet. Ich freue mich allerdings sehr, wenn Leute stattdessen trotzdem zum Loafer greifen.
Gibt es auch richtige No-Gos bei einem Anzug-Look? Was geht auf gar keinen Fall?
Davaroukas: Eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Produkt. Entweder, du hast kein Interesse daran oder du trägst den Anzug mit einer Attitüde – einer gewissen Arroganz. Wenn es wirkt, als sei einem der Aufzug aufgezwungen worden. Wenn man sieht, dass der Träger sich im Anzug nicht wohlfühlt, dann ist das so, wie ihn in der falschen Größe, im falschen Stoff zu kaufen. Wenn ein Anzug dir offensichtlich nicht passt, sowohl auf die Passform bezogen als auch charakterlich.
Gibt es denn klassische Anzug-Typen?
Davaroukas: Jeder könnte ein Anzug-Typ sein. Das ist die Kernidee, die wir auch verkaufen. Stoff, Design, etc. sind wichtig, aber der Kunde stellt die Basis unseres Produktes dar. Es geht darum, dass der Anzug auch charakterlich auf den Menschen zugeschnitten ist. Welches Gefühl möchte der Kunde gerne mit dem Anzug verbinden? Welche Rolle möchte er verkörpern, wenn er den Anzug trägt? Das gilt es herauszufinden. Dann kann man jeden zu einem Anzug-Typen machen, sofern er sich in dem Produkt wohl fühlt und nicht an seine Kommunion erinnert fühlt.
Sollte jeder Mann auch in seinem Alltag Anzüge integrieren?
Davaroukas: Ich möchte es nicht romantisieren und sagen, dass jeder jetzt auch privat Anzug tragen muss. Das würde mich natürlich freuen, wenn mehr Menschen Freude an dem Produkt hätten. Wir haben viele Vorzüge des Produktes im Alltag kennengelernt. Egal, ob man in den Biergarten geht, sich aufs Fahrrad schwingt oder schick essen geht. Ich muss mich nicht mehr umziehen oder befürchten, dass der Anzug das nicht mitmacht. Der private Alltag kann mittlerweile genauso gut im Anzug verbracht werden. Vielleicht bekommt man Blicke und Fragen entgegnet, wenn man am Sonntag so zum Bäcker geht, aber der Anzug bietet alles, was man für den Alltag braucht. Jegliche Praktikabilität von verschiedenen Sakko-Taschen sowie den Komfort, den man mit der Passform herstellen kann. Die letzten Tage hatte ich immer eine Wolle-, Seiden- oder Leinen-Hose oder eine Mischung dieser Art an und es war wahnsinnig angenehm – egal wo ich war und was ich getan habe. Und im Winter wird das Ganze dann durch eine Flanell-Hose ersetzt, mit der man genauso gut auf der Couch sitzen kann wie im Büro. Das bietet eine Flexibilität wie definitiv keine Jeans.