Die legendären „Sissi“-Filme mit Romy Schneider (1938-1982) bekommen Konkurrenz: RTL+ zeigt ab dem 12. Dezember die Event-Serie „Sisi“ mit Dominique Devenport (geb. 1996), Jannik Schümann (29) und Désirée Nosbusch (56) in den Hauptrollen. Die Free-TV-Premiere folgt an drei aufeinanderfolgenden Tagen am 28., 29. und 30. Dezember. Im Frühjahr 2022 legt Netflix mit seiner Serie „The Empress“ nach. Und auch zwei neue Filme sind in Planung.
Doch warum fasziniert uns die legendäre Kaiserin von Österreich-Ungarn bis heute – über 120 Jahre nach ihrem Tod? Dr. Martina Winkelhofer liefert im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news die Antworten. Sie ist Expertin für die Habsburger Monarchie sowie für Hof- und Alltagsgeschichte. Ihre Arbeit umfasst mehrere Standardwerke zur Adelsgeschichte sowie zahlreiche Beiträge in internationalen Medien. Im September erschien ihr neues Buch „Vom Mädchen zur Frau – Kaiserin Elisabeths erste Jahre am Wiener Hof“, in dem sie erstmals zahlreiche Originalquellen zum Alltagsleben Elisabeths ausgewertet und den Sisi-Mythos neu hinterfragt hat.
RTL zeigt die neue Serie „Sisi“ und auch Netflix produziert mit „The Empress“ eine eigene Serie. Warum fesselt uns das Leben der Kaiserin bis heute?
Martina Winkelhofer: Bei Kaiserin Elisabeth kommen mehrere Faktoren zusammen. Einerseits haben wir eine sehr mächtige Bildsprache: Jeder kennt die schönen Gemälde und Fotos dieser außergewöhnlich attraktiven Kaiserin. Sisi ist die erste moderne Bildikone, deren Gesicht sich medial eingeprägt hat. Elisabeth betrat genau zu jenem Zeitpunkt die öffentliche Bühne, als die Fotografie ihren Siegeszug antrat und „Promis“ plötzlich zum Greifen nah schienen. Die schöne Kaiserin war von Beginn an omnipräsent. Mit ihrer Selbstinszenierung, ihre Selbstzensur nahm sie außerdem vorweg, was heute „Influencer“ tun: Sie entschied, welche geschönten Bilder – damals hieß es „Retouche“, heute „Photoshop“ – veröffentlicht wurden und welche nicht. Mit ihrer Entscheidung, sich ab dem 30. Lebensjahr nicht mehr fotografieren zu lassen, kreierte sie den Mythos der schönen, ewig jungen Märchenkaiserin. Das trifft natürlich momentan den Zeitgeist, wir leben ja in einer sehr „bildlastigen“ Zeit, in der Informationen über Bilder vermittelt werden – Stichwort Social Media. Kurz gesprochen: Sisis Bild war und ist immer präsent und inspirierte jede Generation aufs Neue.
Und dann wäre natürlich noch ihr Leben voller Höhen und Tiefen…
Winkelhofer: Genau, Sisis persönliche Geschichte kommt noch dazu: Ihr „Coming-of-Age“-Roman, für den man sich seit Jahrzehnten interessiert: Es geht um Reifung und Entwicklungen, um Emanzipation und Befreiung. Um Krisen, an denen man wächst. Diese Lebensthemen kennen wir alle, sie werden nie unmodern, weil jede Generation sie aufs Neue durchleben muss. Das macht Sisis Geschichte so universell, geradezu zeitlos. Bei Kaiserin Elisabeth findet all das noch in einem glamourösen Setting, einem goldenen Rahmen statt, da schaut man natürlich lieber hin, als bei den Nachbarn. Dieses Phänomen kennen wir von den heutigen Royals. Dass Sisis Geschichte immer wieder aufs Neue erzählt wird, hat aber auch damit zu tun, dass sie so eine interessante und vielschichtige Persönlichkeit war. Sie gibt einfach viel Stoff her, jede Generation kann eine neue, bisher unbekannte Facette an Kaiserin Elisabeth entdecken.
Was wissen wir heute wirklich über ihr Leben und ihren Alltag, und woher stammt dieses Wissen?
Winkelhofer: Wir wissen weniger als wir glauben und könnten gleichzeitig mehr wissen. Das soll heißen: Die historische Elisabeth finden wir nicht in den Zuschreibungen und Klischees, sondern ausschließlich in den Archiven. Aus Originalquellen – den Hofprotokollen, den Korrespondenzen, den persönlichen Unterlagen, den Nachlässen der Menschen ihrer Umgebung – können wir den Alltag der Kaiserin herausschälen: Wir lebte sie bei Hof? Wie hat sie ihre Repräsentationspflichten erfüllt? Wie hat sie sich aus dem Korsett des Hofes befreit? Was wir heute wissen: Elisabeth war eine Frau, die sich mehr als jeder andere Royal ihrer Zeit emanzipiert hat: Von den Erwartungen, die ihre Zeitgenossen, ihre Familie, ihr Ehemann, der Wiener Hof und die Öffentlichkeit an sie gestellt hat. Und das ist für eine Frau des 19. Jahrhunderts unglaublich.
Wie eitel war sie wirklich, war sie wirklich sport- und magersüchtig?
Winkelhofer: Sie hat ein gewisses Maß an Eitelkeit gehabt, sonst hätte sie nicht solche Glamourauftritte an den Tag legen können. Sie war sehr wählerisch, was ihre Roben, ihre Frisur, ihren Schmuck betraf – und der Erfolg gab ihr recht. Die „Marke Sisi“ steht bis heute für die schöne Märchenprinzessin. Kaiserin Elisabeth war definitiv nicht magersüchtig, sie beschäftigte sich aber mehr als andere Frauen ihrer Zeit und ihres Standes mit Ernährung: Welche Lebensmittel erhalten die schlanke Linie? Welche Kuren sind gerade en vogue – diese hat sie gleich auch immer ausprobiert: Milchdiäten, Diäten mit Zitrusfrüchten etc. Elisabeth wusste aber auch süße, nicht gerade figurfreundliche Speisen zu schätzen: Bei Wiens Hofkonditoreien bestellte sie Törtchen, Kipferl und Bonbons. Und ihre eigenen Hofköche versorgten sie regelmäßig mit ihren Lieblingsmehlspeisen: Madeleines, Linzer Torte, Teegebäck mit Kandiszucker und vor allem mit ihrem geliebten „Veilchengefrorenem“: Crushed Ice mit Veilchensirup. Sport spielte definitiv eine große Rolle in Kaiserin Elisabeths Leben, sie brauchte ihn zu ihrem Wohlbefinden. Sie war ständig in Bewegung. Sisi ritt, betrieb „powerwalkig“, trainierte regelmäßig mit Ringen und an der Sprossenwand, sie lernte sogar Fechten. Mit dem Reitsport fuhr sie auch große Erfolge ein und brachte es zur Meisterschaft. Heute könnte sie bei den Olympischen Spielen antreten.
Sie haben unzählige Quellen zum Sisi-Mythos hinterfragt. Wie würden Sie Sisi heute beschreiben?
Winkelhofer: Als Frau, die für ihre Zeit und ihren Stand eine bemerkenswerte persönliche Entwicklung an den Tag legte: Aus einem verschreckten Teenager, der auf dem glatten Wiener Parkett ausrutschte, der manipuliert wurde und missgünstigen Höflingen nicht gewachsen war, wurde eine Frau, die für sich und ihre Bedürfnisse einstehen konnte. Sie überwand schwierige persönliche Krisen – der Tod des geliebten Kindes, Traumata und Enttäuschungen – und definierte ihre Rolle neu. Kaiserin Elisabeth erkämpfte sich ein Maß an persönlicher Freiheit, das für ihre Zeit außergewöhnlich war. Sie hatte den Mut, ihre Komfortzone zu verlassen, um ein Leben zu führen, das in Einklang mit ihren Werten stand.