Conchita Wurst (35) und Rea Garvey (50) werden in der sechsteiligen Docutainment-Serie „Ich will zum ESC!“ (ab dem 25. Januar 2024 in der ARD Mediathek) als Coaches Talente für den deutschen Vorentscheid des Eurovision Song Contests suchen. Wer am 16. Februar bei „Eurovision Song Contest – Das deutsche Finale 2024“ auftreten darf und womöglich als deutscher Vertreter nach Schweden gesendet wird, entscheidet am Ende das Publikum am Donnerstag, dem 8. Februar (22 Uhr in der ARD Mediathek und im NDR ).
Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news blicken die beiden Musiker auf das Kandidatenfeld der Sendung und auf die Gründe der zuletzt schlechten Ergebnisse für Deutschland beim ESC. Zudem verrät Conchita Wurst als ESC-Siegerin von 2014, wie der Erfolg möglich war und ob ein weiterer ESC-Auftritt denkbar ist.
Warum hatten Sie Lust auf die neue „Ich will zum ESC!“-Show?
Rea Garvey: Ich liebe es, mit Conchita zu arbeiten, und ich bin ein großer Fan des ESC. Das ESC-Live-Erlebnis stand definitiv auf meiner Wunschliste und als das Angebot kam, war ich sofort Feuer und Flamme.
Conchita Wurst: Ich hatte so große Lust auf dieses neue Format, weil ich den Song Contest liebe und weil ich es darüber hinaus auch noch liebe, mit kreativen Menschen zusammenzuarbeiten. „Ich will zum ESC!“ ist die perfekte Mischung aus diesen beiden Aspekten!
Für die deutschen Acts lief es bei den vergangenen ESC-Ausgaben nicht gut. Worauf führen Sie das zurück?
Rea Garvey: Ich glaube nicht, dass es für alle Auftritte, die beim ESC keinen Erfolg hatten, nur einen Grund gibt. Manchmal ist es der Song oder der Künstler, der bei den Zuschauern nicht ankommt, oder das Niveau war sehr hoch und gute Songs und Darbietungen gingen zwischen noch großartigeren Songs unter. Ich glaube, dass ein toller Song, der gut gesungen wird, immer noch der beste Weg nach vorne ist. Und als Deutschland diesen Weg eingeschlagen hat, hat es funktioniert, zum Beispiel mit Lena Meyer-Landrut und Michael Schulte.
Conchita Wurst: Der ESC ist einfach total unberechenbar. Das ist zugleich auch das Erfolgsgeheimnis des Wettbewerbs, weil man nicht weiß, wie am Ende die Menschen in den Ländern abstimmen. Und man kann es eben in keiner Weise planen oder vorhersehen – so sind alle Länder gleich und stehen vor der gleichen Herausforderung, die Zuschauer:innen zu überzeugen. Und seien wir ehrlich: Österreich musste nach Udo Jürgens auch 48 Jahre warten, bis es wieder geklappt hat.
Waren Sie bei einem der Acts überrascht, dass es nicht für einen besseren Platz gereicht hat?
Rea Garvey: Ja, manchmal war ich schon überrascht über die Punkte, die Deutschland erhalten hat, und fand, dass sie Besseres verdient hätten. Doch ich bin es gewohnt, in einer Show zu sitzen und das Gefühl zu haben, absolut zu wissen, wie das Publikum denkt und abstimmt – um dann doch überrascht zu werden…
Conchita Wurst: Dass Malik Harris nicht mehr Punkte bekommen hat, hat mich überrascht. Als ich ihn beim Deutschen Finale 2022 zum ersten Mal performen sehen habe, war ich total verzaubert und fand es so schade, dass er keine bessere Platzierung nach Hause bringen konnte. Denn ich finde, er ist ein total herausragender Künstler und Typ.
Was kann sich Deutschland von anderen erfolgreichen Ländern abgucken?
Rea Garvey: Ich denke, das Wichtigste ist, die Show mit einer individuellen Darbietung und einem außergewöhnlichen Song anzugehen, ohne auf die anderen zu schauen. Niemand mag „Copy-Paste“ beim ESC (auch wenn es manchmal erfolgreich ist). Ich denke, die Darbietungen, die Aufmerksamkeit erregen, weil sie anders sind, sind die besten.
Conchita Wurst: Wahrscheinlich am ehesten die Konzepte aus erfolgreichen Ländern, wie sie zu ihren nationalen Beiträgen kommen, also welchen Weg sie gehen, um das Publikum schon früh mitbestimmen zu lassen, wer in die nächste Runde kommt. Und mit „Ich will zum ESC!“ ist Deutschland wahrscheinlich schon auf einem guten Weg in diese Richtung. Ich glaube, unser Format birgt die Möglichkeit für schöne Überraschungen – und Mut zu Überraschungen braucht es auf dem Weg zum Song-Contest-Sieg auf jeden Fall! Genauso wie Authentizität, denn auf der Bühne des ESC mit den vielen Kameras spürt das Publikum die klitzekleinste Unsicherheit, und das überträgt sich dann aufs Voting. Aber Deutschland ist, glaube ich, auf einem guten Weg.
Abba-Star Björn Ulvaeus hat vorgeschlagen, dass sich Deutschland beim ESC auf den deutschen Schlager zurückbesinnen sollte. Was sagen Sie dazu, sehen Sie für das Genre Chancen?
Conchita Wurst: Selbstverständlich! Erlaubt ist, was gefällt. Solange es authentisch ist, kann alles funktionieren!
Sie haben 2014 den ESC gewonnen. Was war Ihr Erfolgsrezept?
Conchita Wurst: Hyperfokus! Ich glaube, das war die Hauptzutat, abgeschmeckt mit einer Riesenportion absoluter Freude an dem, was ich machen durfte – und damit meine ich die gesamte Erfahrung, die gesamte Vorbereitung. Das Planen, das Verfeinern, die vielen Interviews und Reisen zu den verschiedenen Eurovision-Partys, um meinen Song vorzustellen. Die gesamte Reise bis zur Bühne des ESC-Finales!
Warum würden Sie Musikern raten, am ESC teilzunehmen?
Conchita Wurst: Der ESC ist das größte Friedensprojekt der Welt. Musik verbindet uns alle. Wer gerne Musik hört, kann kein schlechter Mensch sein. Und der ESC ist natürlich auch ein fantastisches Sprungbrett. Eine unglaubliche Möglichkeit, sich einem internationalen Millionenpublikum vorzustellen und im besten Fall auch noch seine eigene Karriere zu starten, oder über die Grenzen zu erweitern.
Welche Kriterien waren Ihnen bei der Auswahl der Talente für „Ich will zum ESC!“ wichtig?
Rea Garvey: Wenn jemand meine Aufmerksamkeit als Person und als Sänger auf sich zieht, macht er schon vieles richtig.
Conchita Wurst: Authentisch sollten sie sein, die Persönlichkeit muss durch jede Faser durchscheinen, die Talente brauchen das gewisse Etwas, das man ja berühmterweise nicht beschreiben kann – und selbstverständlich Stimme!
Wie würden sie das Kandidatenfeld beschreiben, welche Talente sind dabei?
Rea Garvey: Es sind Leute dabei, die einfach herausfinden wollten, ob sie das Zeug dazu haben, für Deutschland zu singen. Einige sind riesige ESC-Fans und wollen einfach mit ihrem Lieblingsmusikfestival verbunden sein. Manche kommen, um aus der Erfahrung zu lernen, und andere sind am Start, weil sie einfach überzeugt sind, die Besten zu sein. Es ist eine bunte Mischung!
Conchita Wurst: Das Feld der Kandidat:innen würde ich als sehr divers und voller Abwechslung beschreiben. Meiner Meinung nach bildet es die deutsche Musiklandschaft mit allen Facetten und Geschmäckern gut ab, und ich glaube, es ist für jede und jeden was dabei!
Welchen Bezug haben Sie zum ESC?
Rea Garvey: Der ESC ist ein Familien-Event, bei dem meine eigene Familie in Irland und in Deutschland sich freut, vor dem Fernseher zu sitzen und alles aufzusaugen. Es ist eine Kombination aus so vielen Elementen: Musik, Unterhaltung, Performance, Schock, Verwirrung und Feier!
Würden Sie selbst (noch einmal) beim ESC mitmachen?
Rea Garvey: Wer weiß…? (lacht)
Conchita Wurst: Ich würde jedes Jahr in jeglicher Funktion beim ESC mitmachen – außer selbst wieder als Kandidat anzutreten. Ich habe ja bereits gewonnen!
Was sind Ihre absoluten Lieblingsacts aus den vergangenen ESC-Ausgaben?
Rea Garvey: Da ich an der Auswahl von Lena Meyer-Landrut oder Michael Schulte beteiligt war, habe ich ihre Auftritte wirklich gefeiert. Letztes Jahr fuhr ich nach Berlin, um Måneskin zu sehen, die ebenfalls auf eine erstaunliche ESC-Leistung zurückblicken können. Aber es sind zu viele gute Acts, um sie alle zu nennen. Vielleicht noch besonders zu betonen: Salvador Vilar Braamcamp Sobral ComM, der einfach unglaublich war – und natürlich Johnny Logan!
Conchita Wurst: Meine Top drei Acts aus dem vergangenen Jahrzehnt sind wahrscheinlich Loreen – 2012 und 2023! – Australiens wunderbarer und unfassbar talentierter Sheldon Riley 2022, und Spaniens Ruth Lorenzo, die 2014 zugleich mit mir in Kopenhagen war. Und eine Deutsche zähle ich auch zu meinen absoluten Lieblingsacts: Joy Fleming mit „Ein Lied kann eine Brücke sein“.
(jom/spot)
Bild: Conchita Wurst und Rea Garvey haben eine enge Verbindung zum ESC. / Quelle: NDR/André Kowalski