Corona lässt die Grenzen zwischen Büro- und Freizeitmode verschwimmen

Corona lässt die Grenzen zwischen Büro- und Freizeitmode verschwimmen

Hat die Corona-Pandemie die Businessmode langfristig beeinflusst? Monatelanges Homeoffice hat Anzüge und schicke Kostüme bei vielen in die hinterste Ecke des Kleiderschranks verbannt. Stattdessen entwickelte sich Loungewear zu einem regelrechten Hype. „Corona hat die Lockerung der Kleiderordnung nun stark beschleunigt“, stellt auch Alexander Davaroukas, einer der drei Gründer des Maßkonfektionärs Monokel Berlin, fest. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news verrät er, wie sich die Bedeutung von Businesskleidung durch die Pandemie verändert hat und warum „die Grenze zwischen Büro- und Freizeitmode immer mehr verschwimmt“.

Wie hat sich die Businesskleidung durch das monatelange Homeoffice in der Pandemie verändert?

Alexander Davaroukas: Durch die Corona-Pandemie kam vor allem die Frage auf: „Wieso kleiden wir uns im Büro anders als in unserem Alltag außerhalb des Büros?“ In vielen Branchen galten Hemd oder Bluse und Anzug oder Kostüm als die Norm, die einfach lange nicht hinterfragt wurde. Selbst wer im „Pre-Corona“- Homeoffice Videokonferenzen hatte, hat sich wie selbstverständlich dem Dresscode angemessen gekleidet und sich nichts dabei gedacht, mit Strumpfhose und Pumps oder Krawatte und Jacket in seiner Küche zu sitzen. Corona hat die Lockerung der Kleiderordnung, die eigentlich sogar schon viel früher begann, nun stark beschleunigt.

Viele hinterfragen nun den Dresscode. Aufgezwungene Bürogarderobe am heimischen Arbeitsplatz zu tragen empfinden viele als unbequem. So ganz auf eine angemessene Garderobe verzichten möchten viele aber auch nicht – und sollten dies auch nicht. Businesskleidung gibt einem nämlich auch eine gewisse psychologische Unterstützung. Sie unterstützt und gibt Sicherheit und Kraft. Einen kompletten Verzicht von Businesskleidung können wir also nicht beobachten. Was wir aber beobachten ist, dass die Menschen vielmehr das tragen, wonach sie sich fühlen.

Dazu gehört eben auch eine gewagte Farb- und Musterkombination, aber eben auch legere Schnitte und Stoffe. Wir sehen hier, dass zunehmend die Berufskleidung mit der Alltagskleidung verschmilzt. Das heißt aber nicht, dass wir alle auf einmal im Jogger rumlaufen. Der Post-Corona-Dresscode ist vielmehr das, was wir fühlen und was wir an dem Tag einfach tragen wollen, kombiniert mit lockeren, angenehmen Schnitten und Stoffen, vereint mit Muster- und Farbkombinationen nach Lust und Laune.

Tragen wir im Büro jetzt häufiger It-Pieces, die auch alltagstauglich und praktischer sind?

Davaroukas: Alltagstauglichkeit und Praktikabilität spielen heute eine viel wichtigere Rolle bei der Auswahl unserer Bürokleidung. Die Grenzen zwischen Büro- und Freizeitmode verschwimmen immer mehr und dementsprechend müssen die einzelnen Kleidungsstücke auch mehrere Kriterien erfüllen. Bluse oder Hemd, Strickjacke und Schal werden plötzlich durch Rollkragenpullover ersetzt, die einen selbst durch die konservativsten Räume bringen, aber auf dem Spielplatz oder im Restaurant genauso performen.

Was raten Sie der Business-Frau und was dem Business-Mann von heute?

Davaroukas: Sich kritisch mit ihrer beziehungsweise seiner selbst und der dazu passenden Garderobe auseinanderzusetzen und nicht sämtlichen selbsternannten Influencern scheinbare It-Pieces nachzukaufen, die dreimal getragen werden, um dann festzustellen, dass Photoshop und bezahlte Werbung nicht Hand in Hand mit persönlichem Stil gehen. Egal wie gut uns die Algorithmen inzwischen kennen.

Wir werden nie frei von äußerlichen Einflüssen sein, aber wer sich ernsthaft mit sich und seiner Garderobe auseinandersetzt, dem wird es leichter fallen, sich tagesgerecht zu kleiden. Das soll nicht heißen, dass man einfach tragen soll, was morgens am nächsten liegt, sondern die Macht der Klamotte für sich erkennt und als Verlängerung seines inneren Selbsts ansieht. Kleidung kann uns helfen, unsere Stimmung zu verändern, selbstbewusster zu telefonieren, motivierter aus dem Haus zu gehen und in gewünschte Rollen zu schlüpfen. Blöd, wer das nicht nutzt.

Gibt es absolute No-Gos bei Businesskleidung?

Davaroukas: Einer der besten Nebeneffekte der Pandemie ist wohl, dass „Self-Care“ inzwischen jedem ein Begriff ist und tatsächlich praktiziert und nicht nur gepredigt wird. Ich bin mir sicher, dass bequemes Schuhwerk ein Teil dessen ist und freue mich sehr, dass Birkenstock nach der Restrukturierung inzwischen selbst in den modischsten Kreisen anerkannt ist. Aber Füße dürfen und sollten am Arbeitsplatz gerne verpackt sein.

Es sollte selbstverständlich sein, dass Jogginghosen nur auf dem Sportplatz zu finden sein sollten und der Schlafanzug, der seinem Träger die nötige Ernsthaftigkeit verleiht, am Arbeitsplatz zu bestehen, erst noch erfunden werden muss. Also bleiben die No-Gos unverändert.

Herren, die ein schwarzes Sakko mit weißem Poplin-Hemd, washed Blue-Jeans und cognacfarbenen Brogues tragen, sollten – nein müssen – zum Umziehen nach Hause geschickt werden. Gleiches gilt für Damen, die Yoga-Hosen oder Leggins am Arbeitsplatz mit UGG-Boots getragen.

Was sind absolute Evergreens bei Businesskleidung?

Davaroukas: Ein Klassiker, der immer ging und sicher auch immer gehen wird, ist das OCBD-Hemd – das Oxford-Cloth-Button-Down Hemd. Das Hemd war in den USA bis in die 60er Jahre extrem beliebt. Es lässt sich mit allen möglichen Teilen problemlos kombinieren – sowohl mit einem Sakko oder Anzug als auch mit einer Jeans oder Chino. Und wer sich von dem Hemd auch im Urlaub nicht trennen kann, der kann es sogar zur Badehose tragen.

Der dunkelblaue, einreihige Anzug ist ebenso ein Evergreen und das perfekte „dress-up, dress-down“-Kleidungsstück – formell mit weißem Hemd, Krawatte und schwarzen Oxfords oder aufgelockert mit Rollkragenpullover und Sneakern oder casual mit Jeans-Hemd oder Poloshirt und Loafern. Wer sich bei der Stoffauswahl geschickt anstellt, kann das Sakko sogar einzeln zur Jeans oder zur Chino tragen.

Was auch immer geht, sind Raw-Selvedge-Blue-Jeans. Selvedge kommt von self-edged. Das steht für die ursprüngliche Webkante des Stoffes, der bis in die 50er Jahre auf Shuttle-Webstühlen gewoben wurde. Raw bedeutet lediglich, dass die Jeans keine Waschung hat und somit deutlich formeller wird.

Der Rollkragen-Pullover, für mich schon immer ein Muss im Kleiderschrank, bekommt dank Homeoffice endlich wieder die Anerkennung, die er verdient. Spätestens, wenn man feststellt, dass alle anderen Teilnehmer in der Konferenz ihr Video anhaben und man selber noch im Schlafhemd auf dem Sofa sitzt, wird man dessen Dienste zu schätzen wissen. Frauen wie Männer sehen plötzlich gekleidet aus, selbst wenn man keine Zeit mehr hatte, sich eine Hose anzuziehen.

Wie sieht die Businesskleidung der Zukunft und vor allem nach Corona aus?

Davaroukas: Es wurde nicht plötzlich eine branchenübergreifende Eliminierung jeglicher Dresscodes vereinbart. Der Anzug bleibt das wichtigste Kleidungsstück im Männerschrank. Er wird sogar noch wichtiger, jetzt, wo wir nicht mit in dem „fünf-Tage-die-Woche-Anzug“- Hamsterrad stecken. Es hat sich nämlich etwas in den Menschen verändert: Man(n) kann sich nicht mehr hinter der Pflicht der Kleiderordnung verstecken und in schlechtsitzenden, überholten Anzügen seine Visitenkarten verteilen. Man macht sich heute viel mehr Gedanken darüber, was einen guten Anzug ausmacht und welche Bedeutung dieser für einen selbst hat.

Dazu kommt der Mann in den Genuss, aus einem ähnlich variationsreichen Repertoire schöpfen zu können, wie es Frauen bereits seit langem tun. Bunte Farben und Muster kombinieren, weiche Stoffe nutzen. Wir tragen heute, was wir fühlen und was wir ausdrücken wollen. Wir werden keine generische Definition der Arbeitskleidung finden. Der Yoga-Lehrer wird weiterhin anders auftreten als die Anwältin und wer im Vertrieb arbeitet, hat andere Erwartungen an seine Klamotte als die Beschäftigten im Handwerk. Aber eines ist heute anders: Die Variationen sind breiter und erlaubt ist alles, was authentisch ist.

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